Neue Zürcher Zeitung, Dienstag 2. Dezember 1997 - Nr. 280

Von vollbusigen Elchen und dicken Hunden

Deutschlands Innenminister und die Tücken der Sprachpflege

de. Bonn, 1. Dezember

In Deutschland ist grosse Verunsicherung darüber ausgebrochen, ob der Erfahrung noch zu vertrauen sei, dass die Sprache nachvollzieht, was sich in der Seele festgesetzt hat. Demgemäss würden Worte und Metaphern einen Sinneswandel widerspiegeln, der sich zuvor nicht ausdrucken liess, sich also gleichsam wortlos im Denken und Fühlen breitgemacht hatte. Nun aber gilt es zu vermelden, dass die deutschen Innenminister genau das Umgekehrte zu beweisen suchen, nämlich dass gewisse Wörter aus dem Sprach- und damit Denkwortschatz verbannt werden können, obwohl sie Attribute höchst menschlicher Art umschreiben. Was heisst «können»? Sie müssen aus dem Gebrauch getilgt werden, als Opfer auf dem Altar der political correctness, die still und (un)heimlich ihren Bannwald über den heilen Sprachdörfern errichtet.

Wer einmal wie der Schreibende nach einem Einbruch Hunderte von Täter-Physiognomien in Polizeialben betrachten musste, weiss, wie sinnvoll Ganzkörperphotos wären. Es könnte zum Beispiel nicht ganz nebensächlich sein, ob das schmale Pickelgesicht sich ebenso rank nach unten fortsetzt oder ob der Hakennasige einen Schmerbauch sein eigen nennt. Und die kühle Blonde - welches Hosenmass sie wohl trägt? Ginge es nun nach dem erwähnten Ministererlass, wäre ein Hinweis auf ihre stämmigen Beine vielleicht noch zu tolerieren, nicht aber eine Beschreibung des Zwischenraums. Und so sind ab sofort Wörter wie «vollbusig» und «flachbrüstig» aus dem Fahndungsvokabular der Polizei zu streichen. Unter Hinweis auf die Möglichkeit sexistischer Nebengedanken könnte man damit noch leben. Dass das erste Beispiel aber diskriminierend gegenüber der Frau sein soll, ist schon problematischer. Denn seit wann tragen Männer solche Rundungen?

Doch Minister haben auch Phantasie. Zur weiteren Begründung erklären sie beschwichtigend, im Zeitalter der Silikon-Chirurgie sei auf das Kennzeichen Brustumfang ohnehin kein Verlass mehr. Darauf stelle ich mir vor, die Diebin, die ich gerade noch erblickte, entziehe sich der Fahndung dadurch, dass sie flugs ihre Oberweite reduzieren lässt... Zum Trost möge gereichen, dass auch «dicke», «dickbäuchige» oder «dürre» Gauner inskünftig nicht mehr wegen ihrer Kontur gejagt werden dürfen. Auch ist es nun ebenso anstössig, einen Nigerianer als «negroiden» Typ zu bezeichnen, wie jemanden «slawisch» oder «südländisch» zu nennen. Was aber, wenn der Nigerianer nicht nur negroid, sondern auch dick ist?

Wie man hört, war die Genese dieser Erkenntnisse lang und windungsreich. Arbeitskreise, Aktionsgruppen und Ämter hatten die Tabus umzingelt und ihre Empfehlungen an die Innenminister weitergegeben. Und von denen haben sie fast alle akzeptiert. Einzig Bayern refüsiert sie, so zitiert die «Frankfurter Allgemeine» genüsslich, mit dem Hinweis, die neuen Fahndungsraster seien «zu grob». Vermutlich wird der Freistaat erst dann mitziehen, wenn ein Preusse auf die Idee kommen sollte, den Bayernlook als Merkmal auf eine Suchliste zu setzen.

Während so die amtlich korrekte Hatz Unwort nach Unwort zur Strecke bringt, treibt ein Wildtier immer penetranter sein Unwesen, ohne dass gegen seine Vermehrung eingeschritten wurde: Alces alces pertinax, auf deutsch der gemeine Elch. Der Paarhufer ist in aller Munde, seit bei einem sogenannten Elchtest in Schweden das neueste Produkt von Daimler-Benz auf die Nase fiel. Die Nation der besten Autobauer fühlte sich derart gedemütigt, dass der Name in Windeseile zur Mode-Metapher geriet, mit welcher Schrecken und Schadenfreude gesät und Glaubwürdigkeit in Frage gestellt wird. Ja, selbst der Offenbarungseid läuft Gefahr, vom Elchtest verdrängt zu werden. Dieser ziert Kommentare, Glossen und Annoncen genauso wie die Reden der Politiker, die ihn nun als Messlatte für die Kompetenz und den Erfolg ihrer Rivalen anlegen. So geht es jetzt nicht mehr um «Hürden», «Prüfungen» oder «Nagelproben», sondern schlicht um das «Bestehen des Elchtestes». Wer lügt, hat diesen genausowenig bestanden wie jene, die betrügt. Wer pokert, droht an ihm zu scheitern, wer vor ihm zagt, hat glatt versagt.

Werden sich, wenn das so weitergeht, schon bald wieder Arbeitskreise, Aktionsgruppen und Ämter mit dem Elch befassen? Vielleicht dann, wenn die ersten Amtselche zu wiehern beginnen? Oder wenn jemand auf die Idee kommen sollte, mit dem «vollbusigen Elch» etwas doppelt Unanständiges auszudrücken? Wahrlich, das wäre ein «dicker» Hund - aber das darf ja auch nicht mehr gesagt werden.

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